Von Gier und sozialem Kuchen

„Es wäre unanständig, die Iren nur zu lieben, wenn sie arm sind“, schreibt der deutsch-irische Schriftsteller Hugo Hamilton in seinem Buch „die redselige insel“, doch Irland habe sich so stark verändert, „dass man es manchmal kaum wiedererkennt.“

Beispiel West Cork, ein Dorf am „Wild Atlantic Way“. Etwa 130 Menschen leben hier offiziell. Es gibt noch immer keinen „Burger King“, stattdessen ißt man „fish & chips“ bei Brennan in der Bar. Es gibt Kaffee bei Cuinn im Kolonialwarenladen statt bei „Starbucks“. Aber es gibt „airbnb“. Die Online-Angebote für Übernachtungen in der langgezogenen Siedlung am Meer sind schier endlos und sie werden auch so angenommen.

„Die verdienen sich dumm und dämlich damit“, schimpft Kian, mit seinen 80 Jahren der älteste Mann im Dorf. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Fiona, die umtriebige Maklerin des Dorfes, läßt gerade ein weiteres (Ferien-) Haus bauen und die Zahl der Neubürger, die einzelne Zimmer untervermieten, steigt ebenfalls ständig. Wir haben nicht über „airbnb“, sondern direkt gebucht. Drei Monate vor dem Start in unseren „Winter in Irland“, war alles geregelt.

Zu unserer Überraschung stand die Leiterin der dörflichen Grundschule bereits am zweiten Tag vor unserer Haustür und verkündete, wir müssten mehr als den vereinbarten Preis bezahlen. Als Grund nannte unsere Vermieterin, wir würden zu viel heizen und dadurch ihren Gewinn über Gebühr schmälern. Mein Hinweis, ein Vertrag sei ein Vertrag, interessierte sie nicht – und ich musste an Hugo Hamilton (s.o.) denken. Ein weißer „Jaguar“ SUV passierte passender Weise im selben Moment das Haus, aus der Gegenrichtung kam ein roter Sportwagen der Marke „Porsche“ …

Kian hatte uns einen Tag zuvor gesagt, wir könnten jederzeit bei ihm klopfen, wenn wir Probleme bekämen. Also polterte ich nun an des alten Nachbarn Türe und erhielt Einlass. Es folgten etliche Flüche und das Versprechen, sich Gedanken zu machen. Moralisch gestärkt, verbreitete ich die Kunde von der raffgierigen Pädagogin im Pub und ich hörte ähnliche Vokabeln wie zuvor von Kian. „Das ist ja so, als wenn deine Autoreparatur bei mir am Ende das doppelte kosten würde, obwohl wir einen Festpreis ausgemacht haben“, gab mir mit seinen schmutzigen Fingern schulterklopfend der dörfliche Mechaniker recht und fügte etwas hinzu, dass wie „bitch“ klangt. „Fucking“ war dagegen das erste Wort, das Cuinn hinterm Tresen seines Kolonialwarenladens am nächsten Morgen dazu einfiel. Und ein mahnender Satz seines lange verstorbenen Vaters: „Es gibt genau zwei Menschen, denen du auf der gesamten Halbinsel trauen kannst, mein Sohn!“

Cuinn wusste allerdings schon von der ganzen Misere, bevor ich die Türschwelle seines Shops überschritten hatte – Kian war bereits bei ihm gewesen. Cuinn nahm nun sein Mobiltelefon und schrieb eine „WhatsApp“-Nachricht. Wenige Augenblicke später klingelte sein bisheriges Schreibgerät und er flachste mit einer Frau am anderen Ende der Leitung, die ihm eine weitere Mobilfunknummer mitteilte. Nun rief Cuinn einen Zahnarzt in Cork an. Owen, so sein Name, hat ein Haus nur wenige Schritte von unserem jetzigen entfernt. Er sei einverstanden, es uns zu den von uns kalkulierten Bedingungen zu vermieten, teilte uns Cuinn nach dem Telefonat mit, „ruft ihn um 14 Uhr an, das ist seine Nummer.“

Mittlerweile hatte auch die umtriebige Maklerin Fiona auf meine eMail reagiert. Wir schauten uns eines ihrer Ferienhäuser an, dass wir haben könnten, sofern ein Dauergast aus Hongkong zu einem Haustausch bereit sei. Inzwischen waren wir erneut sprachlos, diesmal ob all der vielzitierten irischen Hilfsbereitschaft. Als wir in unser auf Räumung wartendes Haus zurückkehrten, stand Kian vor der Tür mit dem Schlüssel zum Haus des Zahnarztes. Wir staunten nur noch.

„Wenn Kian sagt, ihr seid anständige Leute, dann ist das so. Viel Freude und Erfolg im neuen Heim“, sagte Owen um 14 Uhr. Der neue Mietvertrag war mit telefonischem Handschlag geschlossen, kein Wort von Anzahlung, Sicherheiten oder dergleichen mehr. Am darauffolgenden Tag zogen wir um – in ein viel schöneres Haus, in dem es Bücher gibt und Bilder an der Wand, ein Bügeleisen samt -brett und sogar ein Kaminbesteck. Fiona sagten wir ab, obwohl Hongkong zugestimmt hatte. Fiona war uns nicht böse, und wenn, dann nur ein ganz kleines bisschen. Kian freute sich, nur Cuinn war sauer auf Owen. „Der hätte zumindest mal anrufen und ‘Danke’ sagen können.“ Er lachte. Wir lachten.

Nach zwei Wochen haben wir im neuen Haus mehrmals die Strom- und Gasuhren abgelesen. Und wir verbrauchen weniger Energie als gedacht! Dafür vermietet die Schuldirektorin jetzt wieder via „airbnb“. Den „Jaguar“ habe ich auch schon wieder fahren sehen, das letzte Mal, als wir bei Cuinn einen Kaffee getrunken haben. Dazu gab es ein Stück vom „social cake“. Was das ist? Wenn ein netter Mensch im Dorf einen Kuchen backt, backt er oder sie gleich zwei. Der zweite landet dann bei Cuinn im Laden und wird stückchenweise kostenlos an die Gäste weitergereicht. Irland hat sich verändert – aber manche Menschen sind noch immer so liebenswert, als wären sie arm …

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