Musik und Craic

Bei der Suche nach dem, was Irland für uns Deutsche so besonders macht, kommt man am Thema Musik nicht vorbei. Unsere eigene Beziehung zur Volksmusik kann man getrost als “schwierig” beschreiben. Und gerade deshalb ist es so faszinierend zu erleben, wie in einem anderen Land diese Volksmusik lebendig ist, durch alle Generationen hindurch.  Jeder Irlandreisende hat es schon erlebt: Man geht in einen Pub, bestellt das eine oder andere Pint und wenn der Abend etwas später wird und weitere Pints die Kehle herunter geflossen sind, beginnt der “Sing-Song”. Jemand stimmt ganz ohne Begleitung ein Lied an, alle werden still und lauschen. Beim Refrain wird mitgesungen. Applaus. Ein weiteres Lied wird angestimmt, alle lauschen und so immer fort. Die Sänger schließen oft die Augen, als würden sie der Musik im Innern nachspüren. Sie singen mit der Seele. Es sind alte Lieder vom Hunger, vom Auswandern, vom Verlassen der Heimat, vom Verteidigen der Heimat, natürlich immer wieder von der Liebe. Eigentlich alle durch die Bank weg traurig. Eine Freundin erzählte, dass früher so auch Codes weiter gegeben wurden. Irgendwie sind es heute immer noch so. Durch diese Lieder tauscht sich die Gemeinschaft aus, verbindet sich. Davon bin ich überzeugt. Dazu kommt noch ein anderes wichtiges Element: Es geht hier nicht um Perfektion. Wir Deutschen haben nicht nur eine sehr unglückliche Beziehung zu unserer Volksmusik, sondern auch zur Perfektion. Irgendwie haben wir noch nicht begriffen, dass Perfektion tödlich ist. Wir erreichen sie nie und im Streben danach verpassen wir das Leben, die vielen wunderschönen unperfekten Nuancen dazwischen. Wer würde denn wagen, in einem öffentlichen Raum den Mund zu öffnen und zu singen, ohne vorher studiert und endlos geprobt zu haben? Genau. Deshalb tun wir es auch nicht. Das empfinde ich in Irland als wunderbar befreiend. Sicher helfen die Pints auch ein wenig dabei. Auch den Iren. Aber wirklich jeder kann hier einfach ein Lied anstimmen und es wird gewürdigt, gewertschätzt. Denn es geht um das Teilen, um die Gemeinschaft. Es wird gelauscht und es wird applaudiert. Egal wie piepsig die Stimme ist, egal ob man alle Texte im Kopf hat, egal ob man die Tonlage verliert, egal ob man zwischendurch nachdenken muss…  Mein erstes Lied im Pub war “The Nightingale”, welches ich liebe und daher tatsächlich alle Strophen kenne. Natürlich habe ich mich nicht getraut. “Was sollen die Leute denken?”! Aber dann sprach mich ein Ire an: “Ihr Deutschen kennt keine Lieder, oder?” Der Beste Weg, mich aus der Reserve zu locken. Und bevor ich ich nachdenken konnte sang ich “The Nightingale”. Viel zu hoch für meine Stimmlage, manchmal krächzend, es war schon später am Abend. Alle lauschten mit glänzenden Augen und waren voller Freude, klatschten und umarmten mich beim Abschied. Ein paar Abende danach wurde ich angesprochen, dass ich so schön gesungen habe und ob ich das Lied nicht noch mal singen könne… Wer Teil der Gemeinschaft werden möchte, muss singen. Ich kann jedem Irlandreisenden nur raten, mindestens ein Lied zu lernen (und wenn es “Molly Malone” ist, ein Lied, welches wir nun wirklich fast alle kennen, und das 3 ganz einfache Strophen hat). Man muss dazu keine Noten lesen, einfach eine Aufnahme anhören und mitsingen. Es öffnet die Herzen.

Einfach mal mitspielen... Das hat riesigen Spaß gemacht!

Neben dem Sing-Song gibt es natürlich auch noch die unglaublich reichhaltige Musikszene. Jeder kennt jemanden, der singt und musiziert. Auch hier geht die Tradition durch die Generationen. Viele lernen in Pubs bei Sessions. Da ist es wieder, das Element Perfektion: Einfach ohne jegliche Ahnung dazu setzen und mitspielen? Tatsächlich. So wird die Musik, werden die Lieder weiter gegeben. Und sie können wachsen und gedeihen, bleiben lebendig. Daraus erwachsen weltweit bekannte Musiker-Dynastien, Musiker, die die Musik tatsächlich mit der Muttermilch aufgenommen haben. Denn natürlich werden auch Babys und Kinder mit in den Pub genommen, ist er doch der gesellschaftliche Treffpunkt.

Beispielhaft dafür stehen für mich selber z. B. die derzeit sehr beliebten “High Kings” aus Dublin, deren Mitglieder alle aus Musiker-Dynastien erwachsen sind. Oder die “Henry Girls” aus Donegal, drei Schwestern einer (noch größeren) Musikerfamilie. Und natürlich “Beoga”, eine sehr frische Band, deren Musik als “new wave trad” bezeichnet wird. Hört doch mal rein:

Die High Kings mit einem Klassiker, allerdings Acapella

Die Henry Girls mit ihrer unvergleichlichen Energie

Beoga mit ihrem unverweschslbaren Stil

Ja, auch zwei Geigen sind eine Band:  “The Kane Sisters”

Und was hat das jetzt mit dem “craic” auf sich? Craic ist irisch für “Spaß” und bezeichnet besonders solchen, den man in Gemeinschaft hat, also z. B. im Pub beim Singen oder Musizieren. Ausgesprochen wir es übrigens wie englisch “crack”.

1 Kommentar zu „Musik und Craic“

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